Fachtagung des DVW Baden-Württemberg e.V. 2023

Am Mittwoch, den 17. Mai 2023, fand die Mitgliederversammlung 2023 des DVW Baden-Württemberg e.V. im GENO-Haus in Stuttgart statt. Der Mitgliederversammlung war eine fachwissenschaftliche Tagung vorangestellt.

Rund 100 gespannte Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich zur diesjährigen Fachtagung des DVW Baden-Württemberg e.V. im GENO-Haus in Stuttgart ein. Kathleen Kraus – stellvertretende Vorsitzende des Landesvereins – eröffnete die Veranstaltung und gegrüßte die interessierten Gäste, unter Ihnen Knut Tropf, Abteilungsleiter am Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) und Prof. Dr. Rudolf Staiger, Präsident des DVW e.V.

Kathleen Kraus, Knut Tropf und Rudolf Staiger betonten in Ihren einführenden Grußworten die wichtige ehrenamtliche Arbeit und die Aktivitäten des DVW Baden-Württemberg e.V. im Bereich der Geodäsie. Gerade auch im Hinblick auf den allgegenwärtigen Fachkräftemangel bekräftigten alle drei die Wichtigkeit von zielgerichteter und nachhaltiger Öffentlichkeits- und Nachwuchsarbeit, welche in Baden-Württemberg insbesondere durch die Aktionswoche Geodäsie durchgeführt wird.

Die Reihe der spannenden Fachvorträge eröffnete im Anschluss Prof. Dr. Volker Schwieger, Leiter des Instituts für Ingenieurgeodäsie der Universität Stuttgart mit einem Einblick in „Ingenieurgeodätische Beiträge zum Exzelllenzcluster IntCDC“.     
Er stellte dabei den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Exzellenzcluster „Integrative computational design and construction for archtitecture“ (Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur) hinsichtlich Motivation bezüglich Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Produktivität und sozialer Relevanz vor.  Außerdem ging er auf den generellen Ansatz des Co-Design ein und stellte im nachfolgenden die Kernpunkte der ingenieurgeodätischen Forschung innerhalb des Clusters vor. Dabei fokussierte er zunächst auf die Positionsbestimmung zur Regelung von Robotern und Manipulatoren. Hier stellte er ein Echtzeittachymeternetz zur lückenlosen Positionsbestimmung vor, um dann weitergehende den Ausblich auf die Sensorfusion zur In-Door Positionsbestimmung von Montagerobotern zu wagen. Danach wurde das neu entwickelte Holistisches Qualitätsmodell und die entsprechende Qualitätssicherung in ihren Grundlagen vorgestellt. Auch die Anwendung des Qualitätsmodells auf die Bausysteme und -materialien „Gradientenbeton“ und „Faserverbundwerkstoffe“ wurden praxisrelevant präsentiert. Zum Abschluss wurden die vorgestellten Methoden der Positionsregelung und der Qualitätssicherung in der praktischen Umsetzung bei der robotischen Montage eines Holzpavillons in Freiburg demonstriert.

Darauf boten Michael Schopp vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg, Dr. Franz Friesecke von der STEG Stadtentwicklung GmbH sowie Alexander Pazerat von der Stadt Stuttgart Einblicke aus unterschiedlichen Blickwinkeln in das zukunftsträchtige Thema „Bauen und Wohnen in bewegten Zeiten – Geodätische Blickwinkel“.

Zu Beginn erläuterte Michael Schopp, dass der aktuelle Mangel an bezahlbarem Wohnraum zwar allgegenwärtig und daher auch Wohnungsbau dringend notwendig ist. Im Zusammenhang mit dem Rohstoff- und Fachkräftemangel, den gestiegenen Finanzierung- und Baukosten und den Höchstständen bei den Baulandpreisen hier aber kein einfacher Lösungsansatz vorhanden ist.    
Mit der Einrichtung des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen, der Wohnraum-Allianz und der Wohnraumoffensive wurden auf politischer Ebene in Baden-Württemberg entsprechend die Weichen gestellt. Auch auf Bundesebene gibt es entsprechende Offensiven.
Auch die Geodäsie ist in diesem Themenfeld im Zusammenhang mit der Wertermittlung präsent. Hierbei besteht die wesentliche Aufgabe darin Marktransparenz zu schaffen bzw. aufzuzeigen was Grund und Boden an unterschiedlichen Standorten kostet.     
Die Marktransparenz wird dabei durch Marktbeobachtung, Sammlung von relevanten Daten, Herleitung von Wertparametern, Marktanalyse aber auch durch Erstellung individueller Verkehrswertgutachten sichergestellt und in Berichten und Online-Portalen präsentiert. Voraussetzung für eine zeitgemäße Markttransparenz sind dabei insbesondere, dass die Daten der amtlichen Grundstückswertermittlung flächendecken vorliegen sowie dass ein landesweiter vergleichbarer Überblick über einen zentralen Zugang gewährleistet ist. In Baden-Württemberg wird die flächendeckende Bereitstellung von Wertermittlungsdaten über die Gutachterausschüsse gesichert und im Portal BORIS-BW bereitgestellt.

Dr. Frankz Friesecke von der STEG Stadtentwicklung GmbH näherte sich dem Thema „Bauen und Wohnen in bewegten Zeiten – Geodätische Blickwinkel“ zum Einstieg mit der Feststellung, dass die Wohnungs- und Bodenfrage eine Soziale Frage ist.    
Bei der aktuellen Ausgangslage im Bereich Bauen und Wohnen stellt sich die Frage nach möglichen Chancen. Klar hervorzuheben sind allerdings Hemmnisse, wie zum Beispiel fehlendes Bauland, die volatilen Immobilienmärkte, die seit 2022 stark gestiegenen Bau- und Entwicklungskosten, die hohen Bauzinsen, die politische Angst vor dem „scharfen Schwert des Bodenrechts“ bis hin zur möglichen Enteignung und nicht zuletzt auch fehlendes Tauschland im Falle betroffener Landwirte bei der Außenentwicklung. In der aktuellen Situation ist dabei auch hervorzuheben, dass die Baupreisentwicklung weit über der Inflationsrate liegt.        
Wie kann nun dennoch in gebaut werden? Im Bereich der Innenentwicklung beispielsweise innerhalb von Sanierungsgebieten. Dabei können private Eigentümer hoch gefördert werden, unter anderem bei der Instantsetzung von Dächern, Fassaden und Außenanlagen sowie bei der energetischen Verbesserung, u.a. beim Austausch der Heizungsanlage bzw. der Fenster. Ziel muss es dabei auch sein, dass die Städte und Gemeinden dadurch klimaresilienter werden.
Im Bereich der Außenentwicklung ist die Expertise von Geodätinnen und Geodäten gerade im Bereich der Baulandumlegung gegeben. Mit der „Baulandumlegung 2030“ wird dabei der Ansatz der sozialen Umlegung verfolgt. Ziel ist nicht nur der Interessensausgleich der Eigentümer, sondern zugleich das Wohl der Allgemeinheit durch die Deckung des Bedarfs an dringend benötigtem Wohnraum. Hierbei kann auch der Flächenbeitrag erhöht werden, wenn dafür Flächen für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt werden. Auch muss im Zuge der Außenentwicklung die Entwicklung neuer klimaneutraler Stadteile erfolgen.   
Als Fazit zog Dr. Friesecke folgende vier Punkte:

  1. Die Innenentwicklung hat Vorrang, aber ohne Außenentwicklung wird es nicht gelingen der Wohnraumknappheit zu begegnen.
  2. Wie erreichen wir eine sozialgerechte und gemeinwohlorientierte Wohnraumentwicklung?
  3. Anwendung der Baulandumlegung, ggf. modifiziert. Vereinfachung des Instruments der Entwicklungsmaßnahme, um diese handhabbarer auszugestalten.
  4. Wie können wir die Verhandlungsposition der Kommune verbessern?

Alexander Pazerat fokussierte in seinem Vortrag auf den Umgang der Landeshauptstadt Stuttgart mit dem Thema Bauen unter erschwerten Rahmenbedingungen. Innerhalb eines Jahres sind die Finanzierungskosten für ein 10-jähriges Darlehen um den Faktor 3 bis 3,5 sowie die Baupreise im vergangenen Jahr um 15% gestiegen. Gepaart mit Material- und Fachkräfteknappheit führt dies zu einer sehr schwierigen Lage beim Wohnungsbau. Dabei wurde das vom Bund anvisierte Ziel von 400.00 Wohnungen, davon 100.000 Sozialmietwohnungen zu bauen, deutlich verfehlt. Etliche Bauvorhaben werden bei der derzeitigen Marktlage zurückgestellt.
Auf der anderen Seite stehen die kommunalen Ziele: eine hohe städtebauliche Qualität zu erzielen, den Wohnungsbestand klimaneutral zu gestalten und bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung herzustellen.    
Die Stadt Stuttgart verpflichtet sich daher zukünftig wieder eine aktivere Rolle bei der Bodenpolitik zu übernehmen. Bauen ist dabei ein Dauerthema und muss auch in schwierigen Zeiten vorangetrieben werden. Landes- und städtische Förderprogramme sind dauerhaft im Blick zu halten und zuverlässig für die Wohnungsbauunternehmen bereitzustellen, damit Projekte wirtschaftlich abbildbar bleiben.  
Die Stadt Stuttgart entwickelt dabei ihre eigenen Flächen, auch z.B. das Rosensteinareal, mit Grundsatzvorlagen. Mit einem Gemeinderatsbeschluss zur Bodenpolitik im Jahr 2022 beträgt der Anteil am freifinanzierten Wohnungsbau zukünftig lediglich max. 15 %. Ansonsten werden die Quartiere mit der Auflage soziale Mietwohnungen zu erstellen vergeben. Weiterhin müssen Wohnungen, die in den städtischen Förderprogrammen „Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher“ bzw. dem „Stuttgarter Eigentumsprogramm“ gebaut werden als „preisgedämpfte Mietwohnungen“ zur Verfügung gestellt werden. Hier ist die ortsübliche Vergleichsmiete dauerhaft um 10% gesenkt.
Pazerat endete mit dem Statement, dass Wirtschaftlichkeit, Klimaneutralität und bezahlbarer Wohnraum zusammengedacht werden müssen. Bauen ist eine Daueraufgabe. In schwierigen Zeiten müssen die Vorhaben entsprechende gefördert werden. Geodätinnen und Geodäten können durch Expertise bei der Wertermittlung und ein breites Fachwissen im Allgemeinen eine entscheidende Koordinierungsrolle zwischen Wohnungswirtschaft und politischen Gremien übernehmen.

Den Abschluss der Fachtagung bildetet Dr. Sebastian Tuttas von der 3D Mapping Solutions GmbH mit „Von mobil erfassten Punktwolken und Bilddaten zum digitalen Zwilling“.       
Nach einer kurzen Firmenvorstellung, bei der betont wurde, dass 3D Mapping Solutions einen großen Teil der Belegschaft in den Fachabteilungen durch Geodätinnen und Geodäten und verwandte Fachrichtungen besetzt hat, wurde anschließend das Mobile Mapping System - eine Eigenentwicklung der Firma - vorgestellt. Die Sensorik für die Erfassung der Realität zur Erstellung des digitalen Zwillings besteht im Wesentlichen aus zwei hochauflösenden Profillaserscannern und mehreren Kameras. Diese können durch eine 360-Grad-Kamera und Radarsensoren ergänzt werden. Dazu kommt die Sensorik für die Bestimmung der hochgenauen Trajektorie. 
Anschließend wurde kurz auf die Auswerteverfahren zur Erstellung der Punktwolken und der geolokalisierten Bilder eingegangen.  
Der Hauptteil des Vortrags befasste sich mit den Produkten, die den digitalen Zwilling für Straßennetzwerke aller Art, sowie automobile Prüfgelände und Rennstrecken, ausmachen. Diese sind hochauflösende Oberflächenmodelle, HD-Maps sowie 3D-Modelle. Die Oberflächenmodelle liefern zum Beispiel die Grundlage für die Fahrdynamiksimulation. Die HD-Maps umfassen sowohl alle Objekte des Straßenraums, wie auch die vollständige Straßenlogik und werden u.A. in der Entwicklung von autonomen Fahrfunktionen eingesetzt. Das 3D-Modell schließlich visualisiert die Szene und wird in Fahrsimulatoren und der Sensorsimulation eingesetzt. Die einheitliche Datenbasis durch die Erfassung von 3D Mapping Solutions gewährleistet, dass alle drei Komponenten perfekt aufeinander abgestimmt erzeugt werden können.           
Als Ergänzung wurde die Software RoadView vorgestellt. Sie ist eine Webapplikation, mit der durch die erfassten, realen Bilddaten des Aufnahmegebiets des digitalen Zwillings navigiert werden kann.          
Den Abschluss des Vortrags bildete ein Projektbeispiel vom Mercedes-Benz-Prüfgelände in Immendingen.

Zum Ende der Fachtagung dankte Kathleen Kraus allen Referenten für ihre bemerkenswerten und faszinierenden Beiträge und den Teilnehmenden für ihr Kommen. Die einzelnen Vorträge hatten tiefe Einblicke in die vielseitigen und spannenden Themenfelder gegeben, die die Geodäsie zu bieten hat.

 

Impressionen:

2

 

Tropf

 

Schwieger

 

Schopp

 

Friesecke

 

Pazerat

 

Tuttas

 

4

Nein