Fachtagung und Mitgliederversammlung 2019
Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich zur diesjährigen Fachtagung im Tagungsbereich „Kunstwerk“ des Hotels „Der Blaue Reiter“ ein. Eröffnet wurde die Fachtagung durch den Vorsitzenden des Landesvereins, Gerd Holzwarth. In seiner Ansprache begrüßte er den Vizepräsidenten des DVW e.V., Thomas Paul, sowie die Grußredner Wolf-Dietrich Gierth als Vertreter der Stadt Karlsruhe,
Ministerialdirigent Jürgen Maier vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) und die neue Leiterin der DVW-Geschäftsstelle Ina Loth. Außerdem freute er sich über die anwesenden Vertreter des MLR, des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung (LGL), der Hochschulen, der verwandten Berufsverbände und der Ehrenmitglieder.
Herr Holzwarth machte auf die Gründung des baden-württembergischen Landesvereins vor 65 Jahren durch Zusammenschluss der beiden Landesvereine Baden und Württemberg aufmerksam. Passend zum Start der Fachtagung wurde auch die Ticket-Buchung für die größte Expo und Conference der Geodäsie freigeschaltet. Die INTERGEO findet in diesem Jahr vom 17. bis 19. September in Stuttgart statt. Auch die Aktionswoche Geodäsie wird in diesem Jahr erneut mit zahlreichen Veranstaltungen auf die geodätischen Berufe aufmerksam machen. Vom 11. bis zum 19. Juli warten viele Interaktionen auf Schülerinnen und Schüler sowie die interessierte Bevölkerung. Herr Holzwarth verkündete, dass das Regierungspräsidium Karlsruhe den DVW Baden-Württemberg e.V. nicht mehr als Träger nach dem Bildungszeitgesetz anerkennt hat. Diese Entscheidung wird vom Landesverein akzeptiert und auf die Beantragung einer Verlängerung verzichtet. Aufwand und die Kosten hierfür würden den Nutzen übersteigen.
Wolf-Dietrich Gierth, Leiter des Liegenschaftsamts der Stadt Karlsruhe, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung in Vertretung des Oberbürgermeisters Dr. Frank Mentrup und stellte die Geschichte des Tagungsortes vor. Das Areal diente vormals der Nähmaschinenfabrik Gritzner als Produktionsstandort und wird heute intensiv städtebaulich beplant und weiterentwickelt. Er schloss mit dem Aufruf an alle Geodätinnen und Geodäten, sich dem Wettbewerb mit benachbarten Disziplinen zu stellen.
Im Anschluss überbrachte Ministerialdirigent Jürgen Maier die Grüße von Minister Peter Hauk MdL sowie des MLR. Herr Maier präsentierte sich als neuer Leiter der Abteilung 4 im Ministerium und sprach über aktuelle Themen im MLR, für die Geodäten unverzichtbar und direkt betroffen sind. Auch im Ministerium stellt man sich den Herausforderungen der Nachwuchsgewinnung, insbesondere für die Vermessungs- und Flurneuordnungsverwaltung. „Die enge Zusammenarbeit mit dem DVW und die Unterstützung der Aktionswoche Geodäsie zeige, dass wir gemeinsam für eine stärkere Wahrnehmung der geodätischen Berufe in der Öffentlichkeit stehen. Auch das MLR trägt hierzu seinen Teil bei“, betonte Jürgen Maier. So konnten Sonderzuschläge für die Anwärterbezüge durchgesetzt werden.
Besonderes im Fokus des MLR steht die Stärkung der ländlichen Räume. Eine von der Bundesregierung eingerichtete Kommission soll konkrete Vorschläge für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse – und zwar unabhängig vom Wohnort – in Deutschland erarbeiten. Für Baden-Württemberg bedeutet das insbesondere die Forderung nach einer schlagkräftigen Verwaltung. Ein weiteres Augenmerk der Landesregierung liegt auf der Digitalisierung. Hierbei ist die Geodaten-Infrastruktur ein elementarerer Bestandteil der digitalen Daseinsvorsorge. Mit der Bereitstellung der SAPOS®-Korrekturdaten für die Landwirtschaft startete im Januar 2019 ein neues Modellprojekt. 100 Landwirte testen die Korrektursignale des amtlichen Satellitenpositionierungsdienstes SAPOS® für Precision Farming. Ein weiteres Projekt wird im Sommer 2019 an den Start gehen. Mit „BORIS-BW“ stellt Baden-Württemberg ein zentrales Informationssystem für Bodenrichtwerte kostenfrei zur Verfügung.
Die Grußworte des DVW-Präsidiums, insbesondere des zur Fachtagung verhinderten Präsidenten Herrn Prof. Dr.-Ing. Hansjörg Kutterer, trug Ina Loth vor. Die neue Leiterin der DVW-Geschäftsstelle studierte in Bonn Geodäsie und ist inzwischen in Bühl (Baden) zuhause. Seit dem 1. Januar 2019 betreut sie unter anderem die Seite „Arbeitsplatz Erde“, die – wie die Aktionswoche Geodäsie – der Nachwuchsgewinnung dient. Als Aufgaben definiert Frau Loth die Bekämpfung des Mitgliederschwunds und die Stärkung der Marke DVW. „Der DVW verfügt über ein gutes, aus langer Tradition gewachsenes Image, das wir weiter pflegen und entwickeln wollen“, so Ina Loth. Gleichzeitig weist sie auf den 150. Geburtstag des DVW im Jahr 2021 hin.
Den Reigen der Fachvorträge eröffnete Prof. Dr.-Ing. Rolf-Jürgen Ahlers mit dem Vortrag „Auch im Weltraum – Geodäten sind gefragte Fachleute“. Der Vorsitzende des Forums Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg stellte zunächst das Forum als Industrieverband vor, dem jedoch auch Hochschulen und das MLR – insgesamt rund 100 Mitglieder – angehören. Das Forum ist ein vernetztes Sprachrohr und ermöglicht durch persönliche Ansprachen, Arbeitskreise und mit Veranstaltungen den Austausch aktueller Themen und Trends.
Die Bedeutung der Geodäsie hob er mit einem kurzen Abriss über die Entwicklung hervor. Angefangen bei den alten Ägyptern, über die Römer, das Mittelalter bis hin zu den großen weltumspannenden Vermessungsleistungen des Satellitenzeitalters. Das Ziel war stets der Gewinn von Informationen mit Geo-Bezug.
Mit herausragenden Visionen zur Besiedelung des Mondes und des Mars gab er einige Ideen zur Arbeit des Forums bekannt. Sämtliche Raumfahrtinstitutionen beschäftigen sich mit Mondprogrammen, in denen ein „Moon Village“ die Ausgangsbasis für die weitere Erkundung des Weltraums ist. In diesem Themenbereich sind Geodäten gefragte Fachleute, die Informationen mit Raumbezug liefern. Es gilt, die Verfahren auf der Erde ins Weltall zu übertragen. Er schloss mit den Worten: „Der Weltraum hält viele Überraschungen für uns bereit!“
Im zweiten Vortrag „UAV und viel mehr – Geodäten gehen in die Luft“ stellte Dr.-Ing. Johannes Schlesinger die 3D-Datenerhebung durch Drohnenbefliegung für Kommunen, Energieversorgungsunternehmen, Forschungseinrichtungen und Ingenieurbüros vor. Zum Einsatz kommen die inzwischen sehr bekannten „Kopter“ mit vier bis acht Rotoren für die detaillierte Aufnahme von Einzelobjekten und „Starrflügler“ – „klassische“ Modellflugzeuge für den großflächigen Einsatz. Anhand mehrerer Beispiele mit beeindruckenden Luftbildaufnahmen zeigte Dr. Schlesinger, Geschäftsführer der svGeololutions GmbH, die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. So wurde eine Felswand an der Bundesstraße 317 mit ca. 68 Mio. Bildpunkten in kürzester Zeit vermessen, nachdem ein Felssturz die Straße verschüttete. Durch den Einsatz eines „Kopters“ konnte aus verschiedenen Blickwinkeln ein 3D-Modell gewonnen werden. Als weiteres Projekt stellte Dr. Schlesinger die Begleitung der Elz-Renaturierung auf rund 110 ha vor, bei der sämtliche Vorteile einer effizienten luftgestützten Vermessung von großen Flächen zum Tragen kamen. Neben der Datengewinnung zur Modellbildung werden mit diesem Verfahren auch Bestände und Bauvorhaben (inklusive Schattenverlaufberechnung) für Gemeinderäte und Bürgerbeteiligungen visualisiert.
Thilo Pfalzgraf, M. Sc. und Absolvent der HFT Stuttgart hielt einen Vortrag zum Thema „Wo finde ich ein Krankenhaus – Geodäten helfen weiter“. In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit der Möglichkeit das am besten zu erreichende und für den konkreten Notfall ausgestattete Krankenhaus und die passende medizinische Einrichtung zu finden; eine insbesondere in Ländern der Dritten Welt drängende Aufgabe. Ein Hauptaugenmerk lag in der Zusammenführung unterschiedlicher Datenquellen zu einer Datenbank. Thilo Pfalzgraf entwickelte ein Datenmodell, das alle relevanten Einrichtungen von Gesundheitssystemen enthält und ihre weiteren Informationen beschreibt.
Martin Schaich M.A. von der Firma ArcTron 3D zeigte in seinem Vortrag „3D Archäologie – Geodäten reisen in die Vergangenheit“ mit welchem Aufgabenspektrum sich Geodäten in der Archäologie auseinandersetzen. Der studierte Archäologe gewinnt aus luftgestütztem und terrestrischem Laserscanning sowie photogrammetrischen Aufnahmen vielfältige Informationen für Ausgrabungen. Neben der Verarbeitung zu dreidimensionalen Modellen liegt ein weiterer Schwerpunkt der Firma in der Dokumentation und Visualisierung. Es werden nicht nur archäologische Ausgrabungen erfasst, auch Kulturdenkmäler und Weltkulturerbestätten sowie ganze Kulturlandschafsformen und Geländedenkmäler lokalisiert. Letztere zeichneten sich insbesondere im letzten Jahr durch den trockenen Sommer deutlich in der Vegetation ab und waren somit aus der Luft gut zu erkennen. Die detektierten Denkmäler und Objekte können bis in die Bronzezeit zurückreichen.
Spannend war die Darstellung des Limes - ein für Baden-Württemberg bedeutendes Bodendenkmal. In seiner Visualisierung verknüpfte Herr Schaich eine Rekonstruktion des Limes mit einem Geländemodell und konnte darlegen, welche Sichtverbindungen zwischen den am Limes liegenden Wachtürmen bestanden. Danach erfolgte ein Sprung ins Mittelalter. In beeindruckenden Videosequenzen zeigte Herr Schaich eine modellierte zeitliche Entwicklung der einzelnen Bauphasen einer Burg. Zur Anwendung kommen hierbei Stratigraphie-Modelle in 3D, die eine schichtenweise Darstellung ermöglichen.
Zum Abschluss seines reich bebilderten Vortrags zeigte Herr Schaich Beispiele für High Resolution 3D Scanning, in denen einzelne Gegenstände mit einer sehr hohen Detaildichte erfasst werden. Faszinierende 3D-Techniken und multimediale Technologien haben die Erfassungs-, Dokumentations- und Visualisierungsmöglichkeiten in der Archäologie revolutioniert. Neben Virtual Reality Anwendungen kommt auch der 3D-Druck zum Einsatz, mit dem Replikationen im Maßstab 1:1 möglich sind. Insgesamt zeigte Herr Schaich sehr spannende Anwendungsbereiche auf.
Nach der Mittagspause stellte Alexander Singer M.Sc. mit dem Vortrag „Crashtests und ihre Auswertung – Geodäten lassen es krachen“ seine Arbeit bei der Audi AG in Ingolstadt vor. Nach der Vorstellung des Unternehmens erklärte Herr Singer welche Rolle die Geodäten bei der Prüfung der Fahrzeugsicherheit einnehmen. Ob gesetzlicher und physischer Natur - je nach Fahrzeugtyp oder Stückzahl gibt es bei der Prüfung zahlreiche unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen. Mit Videosequenzen zeigte Herr Singer diverse Unfallszenarien, die bei Crashtests geprüft bzw. simuliert werden. Die Hauptphase des Crashs dauert dabei nur wenige Millisekunden – kürzer als ein Wimpernschlag. Herr Singer gab sehr interessante und detailreiche Einblicke in die technischen und sensorbesetzten Gegebenheiten der Testdummys, die den Menschen im Inneren des Fahrzeugs simulieren. Außen kommen Stereokamera-Paare, Messarme, Messzellen mit Messmarken, Stereo-Projektionsscanner sowie Highspeed-Kameras zum Einsatz. Diese liefern die Datengrundlage für die dreidimensionalen Videoanalysen, die wiederum Feedback für die Konstruktionsabteilung sind.
Nicht nur rein geodätische Aufgaben gehören zum Betätigungsfeld von Alexander Singer; auch die Koordination der Geldmittel ist ein wichtiger Aspekt. Für die Tests werden Dummys mit einer verbesserten Biofidelity (Darstellung des menschlichen Belastungsverhaltens) eingesetzt, die einen größeren sechsstelligen Betrag kosten. Abschließend forderte Herr Singer die Studierenden auf, sich zu trauen und zu bewerben – auch initiativ!
Am Ende dankte Gerd Holzwarth allen Referenten für ihre Beiträge. Ein Strauß voller spannender und vielseitiger Anwendungsbereiche mit geodätischem Bezug wurde dem Publikum präsentiert. Dem einen oder anderen Zuhörer mag dabei die Spannbreite seines wundervollen Berufs wieder bewusst geworden sein. Den Anwesenden dankte der Vereinsvorsitzende für ihr Kommen und lud zur anschließenden Mitgliederversammlung ein.
v.l. Jürgen Maier, Prof. Dr.-Ing. Rolf-Jürgen Ahlers, Ina Loth, Martin Schaich, Alexander Singer, Dr. Johannes Schlesinger, Thilo Pfalzgraf, Gerd Holzwarth
Christoph Haberkorn, stellvertretender Vorsitzender der Bezirksgruppe Franken
Kathleen Kraus, DVW Baden-Württemberg e.V., Öffentlichkeitsreferentin
Bilder: © DVW Baden-Württemberg e.V.