Fachtagung des DVW Baden-Württemberg e.V. 2022
Nachdem die Fachtagung des DVW Baden-Württemberg e.V. im vergangenen Jahr auf Grund der bekannten Einschränkungen zum ersten Mal im virtuellen Format durchgeführt wurde, fand die diesjährige Veranstaltung wieder in ihrem gewohnten Format in Präsenz statt. Rund 100 gespannte Teilnehmende fanden sich am 18. Mai 2022 im Stadthaus in Ulm, im Schatten des höchsten Kirchturms der Welt, ein. Markus Muhler, Vorsitzender des Landesvereins, eröffnete die Veranstaltung und begrüßte die Gäste, unter ihnen Herr Dr. Christian Schneider, Ministerialdirektor am neu begründeten Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg (MLW) und Frau Christiane Salbach als Vertreterin des DVW e.V. Außerdem freute er sich über die anwesenden Vertreter des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung (LGL), der Hochschulen, der geodätischen Berufsverbände und der Ehrenmitglieder.
Zu Beginn betonte Markus Muhler die wichtige ehrenamtliche Arbeit des DVW Baden-Württemberg e.V. im Bereich der Geodäsie – sei es bundesweit in der Zusammenarbeit mit dem DVW e.V., auf Landesebene in Baden-Württemberg, im Zusammenhang mit der Aktionswoche Geodäsie und auf Ebene der Bezirksgruppen. „Auf Grund der wichtigen und richtigen Einschränkungen kam in den vergangenen zwei Jahren das wunderbare und wertvolle Netzwerk – für das der DVW Baden-Württemberg e.V. steht – leider deutlich zu kurz. Umso mehr ist es wichtig, dass die diesjährige Fachtagung wieder in Präsenz stattfindet – natürlich mit den bewährten Abstands- und Hygieneregeln“, betonte Muhler.
Auf diese einleitenden Worte folgten die Grußworte von Dr. Christian Schneider (MLW). Herr Dr. Schneider richtete Grüße von Frau Ministerin Nicole Razavi aus und betonte die Relevanz der Geodäsie und der zugehörigen Fachrichtungen für die Gesellschaft. Die Geodäsie sei mehr als einfach nur Vermessung, sondern liefere mit ihren Geoinformationsdaten auch die Daten der Zukunft und ist nicht mehr wegzudenken. Herr Dr. Schneider dankte in diesem Zusammenhang dem DVW Baden-Württemberg e.V. für die wichtige Vereinsarbeit und betonte die Bedeutung der Aktionswoche Geodäsie, welche in den Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels entscheidende Nachwuchsarbeit im Namen der Geodäsie leistet.
Im Anschluss richtete Frau Christiane Salbach – Geschäftsführerin der DVW GmbH – das Wort, stellvertretend für das Präsidium des DVW e.V., an die Teilnehmenden. Frau Salbach betonte ebenfalls die Bedeutung der Geodäsie in den vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und die in diesem Zusammenhang wichtige Arbeit des DVW e.V.. Sei es mit Seminaren in den unterschiedlichsten geodätischen Themengebieten oder mit der INTERGEO, der wichtigsten internationale Messe in diesem Tätigkeitsfeld. Sie wird in diesem Jahr vom 18. – 20. Oktober in Essen stattfinden. Frau Salbach blickte darüber hinaus auf das 150-jährige Jubiläum des DVW e.V. im vergangenen Jahr zurück. Viele unterschiedliche und spannenden digitale Angebote wurden in diesem Zusammenhang angeboten – unter anderem die Story Maps auf der Homepage des DVW e.V., die das breite Spektrum der Geoinformationen und der Geodäsie zeigen. Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten fand die Mitgliederversammlung des DVW e.V. im März am Gründungsort des Vereins – in Coburg – statt. Abschließend wies Christiane Salbach noch auf die anstehende Neuausrichtung der DVW-Arbeitskreise hin. Ab Januar 2023 wird der DVW mit acht Arbeitskreisen die unterschiedlichen geodätischen Fachthemen abdecken. Noch bis zum 31. Juli 2022 kann sich für die Mitarbeit in einem der Arbeitskreise für die Periode von 2023 bis 2026 beworben werden.
Nachfolgend eröffnete Dr. Dirk Pietruschka, Leiter des Zentrums für nachhaltige Energietechnik an der Hochschule für Technik (HfT) Stuttgart, die Fachtagung mit seinem Vortrag „iCity – die intelligente Stadt“. „iCity“, die intelligente Stadt, so erläuterte Pietruschka, stehe in seiner Gänze für die Forschung an der intelligenten, nachhaltigen und lebenswerten Stadt der Zukunft und nicht einfach nur für eine smarte Stadt. Der Fokus liege entsprechend auch auf den Menschen und dem Zusammenleben vor Ort. Das Grundkonzept der „iCity“, so Pietruschka, bestehe darin, dass eine solche Stadt – im Vergleich zu heutigen Städten – digitaler und vernetzter sei. Die effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen – im Fall der Energie mit einem größtmöglichen erneuerbaren Anteil – sowie ein intelligentes Mobilitätskonzept, sind zudem integraler Bestandteil. In Kombination mit der Ausrichtung auf die allgemeine Lebensqualität und das Wohl der Bewohner der „iCity“ ergibt sich für die zukünftigen Städte, dass diese nicht nur mit technischen Innovationen vorangetrieben werden sollen, sondern auch ökologische, ökonomische und soziale Gesichtspunkte bestmögliche Beachtung finden. Ein entsprechend breites und interdisziplinäres Themenfeld gilt es nachhaltig abzudecken. Ziel des Forschungsprojekts ist es, ein Innovationsmotor für die städtische Entwicklung zu sein.
Pietruschka nahm die gespannten Zuhörenden darauf noch in den Themenbereich der Energiesimulation von Stadtquartieren am Beispiel der „Simstadt“ mit. Mit Hilfe von 3D-Stadtmodellen und modular verfügbaren Simulationswerkzeugen soll in diesem Forschungsprojekt eine Toolbox entwickelt und verfügbar gemacht werden, die sich für die Simulation von Stadtquartieren eignet. In der bereitzustellenden Simulationsumgebung sollen dann Gebäudebedarfsanalysen mit Netzsimulationen gekoppelt werden, um so Szenarien im Hinblick auf Lastmanagement, Speicherdimensionierung und Bedarfsentwicklung berechnen zu können. Die zugehörigen Zusammenhänge und Potentiale erläuterte Pietruschka am Beispiel des Spinelli-Areals in Mannheim.
3D-Stadtmodelle können zudem als digitaler Zwilling zur präzisen Prognose von Energieverbrauch und -erzeugung entgegengesetzt werden und so das Energiemanagement sinnvoll unterstützen. Mit den genannten Modellen ist auch die Bestimmung von Luftströmen möglich und daraus die Ermittlung von Hot Spots und Feinstaubbelastungen.
Darauf gab Herr Markus Müller, Leiter der Abteilung Geoinformation und Kartografie beim Stadtmessungsamt Stuttgart, mit seinem Fachvortrag „Digitaler Zwilling Mobilität und Umwelt – von der Geodateninfrastruktur, zum Digitalen Zwilling, zur Smart City und zurück“ einen Einblick in das Projekt „Digitales Abbild der LHS Stuttgart zur Förderung einer nachhaltigen emissionsfreien Mobilität“.
Das Thema Mobilität und Umwelt, so erläuterte Müller, habe in den vergangenen Jahren sehr an Fahrt aufgenommen. So auch in der Landeshauptstadt Stuttgart, die täglich ein enormes Verkehrsaufkommen zu bewältigen habe. In diesem Zusammenhang rücke die Verkehrssteuerung, nachhaltige Mobilität und Daten zum Verkehrsaufkommen immer mehr in den Fokus. An dieser Stelle kommt dann auch der digitale Zwilling – ein digitales Gegenstück zur realen Stadt Stuttgart – zum Tragen.
Mit Hilfe des digitalen Zwillings könnten die bereits bestehenden Daten zur Mobilität und Umwelt weiter verbessert werden. Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Vernetzung von bestehenden Systemen und Datenbeständen, die Schließung von Datenlücken und die anforderungsgerechte Bereitstellung von weiteren Daten und Diensten. Auf dieser Grundlage ergebe sich dann eine verbesserte Grundlage für die Steuerung der städtischen Umwelt- und Verkehrssysteme. Mit diesem digitalen und dynamischen Gegenstück der Landeshauptstadt könnten dann Veränderungen und Maßnahmen vorab simuliert werden.
Das Gesamtprojekt bestehe dabei aus mehreren einzelnen Arbeitspaketen. Das AP 100 – digitaler Master – befasst sich mit der Abbildung der realen Welt als Datenbestand. Im AP 200 – digitaler Schatten – wird sich mit der Abbildung der Veränderungen in der realen Situation im Datenbestand befasst. Grundlage hierfür sind Datenbestände von Messstationen, Sensordaten und weiteren dynamischen Daten aus internen und externen Quellen. Das AP300 – System aus Systemen – konzentriert sich auf die Schaffung der Grundlagen für den Betrieb und die Nutzung des digitalen Zwillings. Hierzu werden die Daten aus den vorangegangenen Arbeitspaketen in einer Systemarchitektur abgebildet. Ziel ist durch die Kombination von Einzelsystemen einen Mehrwert und neue Funktionen zu generieren.
Beim digitalen Zwilling stehe insbesondre auch im Fokus, dass die einzelnen Daten aus der Geodateninfrastruktur – welche dann gesammelt, vernetzt, analysiert und mit weiteren Daten angereichert vorliegen – wieder in die Geodateninfrastruktur integriert werden. Hierdurch und mit dem zugehörigen Projekt der Landeshauptstadt Stuttgart, so endete Müller, könnten entscheidende und wichtige Schritte im Hinblick auf die Umwelt und Mobilität der Zukunft gemacht werden. Ein Thema, welches uns zweifelsohne noch lange begleiten werde.
Mit „Smart Villages – 3D Planen und Bauen im ländlichen Raum“ schlug anschließend Gerald Graf, Leiter des Referats 55 am Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL), den Bogen in Richtung des ländlichen Raums. Mit dem Projekt soll das Konzept der „Smart Cities“ auf kleine und mittelgroße Gemeinden – unter Beachtung der besonderen Gegebenheiten des ländlichen Raums – übertragen werden.
Wie schon in den vorangegangenen Fachvorträgen bildet auch hier die Vernetzung von vorhandenen Geoinformationen und Sensordaten die Grundlage. Ausgehend davon wird im Zuge des Projekts ein web-basiertes Tool entwickelt. Mit diesem Tool sollen beispielsweise die eigenen 3D-Planungen eines Gebäudes in Verbindung mit dem digitalen Geländemodell und Daten des 3D-Landschaftsmodells ermöglicht werden. Weitere fachspezifische Daten, wie beispielsweise Bebauungspläne, Architekturmodelle für Planungsentwürfe (BIM) sowie Parkkonzepte und Mobilitätsdaten, können ebenfalls integriert werden.
Am Beispiel des Kelterareals in Niedernhall veranschaulichte Graf die Möglichkeiten des Planungstools. So könne die vorgesehene Gestaltung des Areals mit LoD3-Modellen anschaulich vorab geplant werden. Auch die Ausgestaltung von Freiflächen für Parkplätze und Veranstaltungen – inkl. möglicher Standorte für Stände und Bühnen – könne mitbetrachtet werden.
Das Planungstool soll sowohl Kommunen als auch Architekten und Bürgern auf einfach Art und Weise die Planung von „Smart Villages“ ermöglichen. Abschließend erläuterte Graf noch, wie anhand der Standards XBau und XPlanung sowie deren Verwendung bei der Planung in diesem Zusammenhang eine durchgängige IT-Lösung für den Planungsprozess möglich werden kann.
Im darauffolgenden Fachvortrag „Vom komplexen Werkstück zum parametrischen CAD-Modell – ein innovativer Digitalisierungsprozess“ präsentierte Marcel Grieshaber, Student an der Hochschule für Technik (HfT) Stuttgart, dem interessierten Publikum einen neuartigen Ansatz zur Erfassung von CAD-Modellen als Datengrundlage für die Produktion. Zu Beginn veranschaulichte er wie mit Hilfe eines CAD-Scanners bzw. einer kalibrierten Stereokamera 3D-Objekte individuell aufgenommen werden können. Die Erfassung eines Objekts erfolgte im dargestellten Beispiel unter Zuhilfenahme eines Messtaster, die Berechnung der räumlichen Orientierung der Kamera und des Messobjekts mit Hilfe von Referenzmarken.
Mit einem java-basierten Programm – ähnlich wie dem marktüblichen AutoCAD – können die erfassten Daten nun bearbeitet und dargestellt werden.
Im Anschluss erläuterte Grieshaber wie im Regelfall die Aufnahme eines 3D-Objekts und die Überführung in ein CAD-Modell erfolgt. In einem ersten Schritt wird mit Hilfe eines Flächenscans das Objekt erfasst. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die jeweiligen Objekte je nach Lichtdurchlässigkeit und Reflexionsverhalten ggf. präpariert werden müssen, um eine ordnungsgemäße Erfassung zu ermöglichen. Die daraus resultierende Punktwolke muss im Anschluss in ein CAD-Modell überführt werden, welches teilweise einer manuellen Bearbeitung bedarf. So müssen beispielsweise zylindrische Formen von Hand eingefügt werden. Diese Methode ist sowohl zeit-, kosten-, als auch ressourcenintensiv.
Als Alternative dazu präsentierte Marcel Grieshaber einen Ansatz, welcher sich auf das parametrische Konstruieren stützt. Hierbei werden lediglich einzelne geometrische Vorgaben gemacht und ggf. Abhängigkeiten definiert. Mit der Unterstützung einer künstlichen Intelligenz wird nun ermittelt, welche weiteren Einzelelemente im Gesamtobjekt vorhanden sein müssen und wie diese zueinander angeordnet sind bzw. sein müssen.
Diese Methodik verglich Grieshaber anschließend zu einer Erfassung mit einem Messchieber und zur klassischen Erfassung mittels 3D-Scanner (GOM-ATOS). Die Erfassung einer Platte mit mehreren Durchlässen konnte mit Hilfe des Messschiebers innerhalb von 12 Minuten und 16 Sekunden erfolgen. Dasselbe Objekt konnte mit dem Ansatz von Grieshaber innerhalb von 4 Minuten und 38 Sekunden erfasst werden. Auch bei der Erfassung einer Halterung mit dem 3D-Scanner COM-ATOS konnte der alternative Ansatz überzeugen. Hier standen 1 Stunde 29 Minuten und 4 Sekunden einer Zeit von 29 Minuten und 49 Sekunden gegenüber.
Abschließend erläuterte Grieshaber, dass mit Hilfe des neuen Ansatzes zwar Zeit gespart werden könnte, im Vergleich zum 3D-Scanner allerdings weniger Details erfasst werden. Er sehe, so erläuterte er dem gespannt lauschenden Publikum abschließend, insbesondere in der Kombination der beider Systeme ein enormes Potential.
Nach der Mittagspause startete das Nachmittagsprogramm der Fachtagung mit dem Vortrag „Beiträge der Computer Vision zur Digitalisierung“ von Prof. Markus Ulrich, Professor für Machine Vision Metrology am Institut für Photogrammmetrie und Fernerkundung am KIT.
Zu Beginn erläuterte Ulrich anhand einiger Beispiele was unter dem Begriff „Machine Vision“ zu verstehen ist. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Auswertung von Bildern zur Fehlerdetektion, wie etwa bei der Überprüfung von Aufdrucken einer Getränkeflasche oder bei Platzierung von Komponenten auf einer Platine. So können fehlerhafte Objekte erkannt und bei Bedarf aussortiert werden. Die Schnittmenge zur Geodäsie findet sich bei dieser Methodik ganz klar im Bereich der Photogrammmetrie.
Aber nicht nur in diesem Bereich gibt es zwischen den geodätischen Disziplinen und der Computer Vision Zusammenhänge. Die Ausgleichsrechnung spielt ebenfalls eine gewichtige Rolle. So haben beispielsweise die Roboter-Arme – die im oben geschilderten Prozess für die Aussortierung der Objekte verantwortlich sind – in der Regel eine sehr hohe Präzision, aber eine hohe Unsicherheit im Bereich der Genauigkeit. Über die geodätische Ausgleichsrechnung kann hier eine Verbesserung der Genauigkeit erwirkt werden. Am Beispiel der Aufnahme einer Flasche erläuterte Ulrich anschließend, wie der seitliche Aufdruck auf der Flaschenwand mit Hilfe nur einer Kamera aufgenommen werden kann. In solchen Fällen kommt ein hyperzentrisches Objektiv zum Einsatz. In den Aufnahmen erscheint der obere Flaschenhals in der Bildmitte und der Bereich des Flaschenbodens am Bildrand. Dazwischen ist der seitliche Aufdruck auf der Flaschenwand erkennbar.
Abschließend gab Ulrich noch einen Ausblick in Richtung der 3D-Konstruktion von Gebäudeinnenräumen, dem Einsatz von Augmented Reality bei der Trassenplanung und der Dachflächenanalyse für Photovoltaikanlagen. Hier ergeben sich insbesondere auch Schnittmengen zu den Themen „iCity“, „digitaler Zwilling“ und „Smart Village“.
Zum Ende der Fachtagung dankte Markus Muhler allen Referenten für ihre bemerkenswerten Beiträge und den Teilnehmenden für ihr Kommen. Die einzelnen Vorträge hätten tiefe Einblicke in die vielseitigen und spannenden Themenfelder gegeben, die die Geodäsie zu bieten hat.
Bilder: © DVW Baden-Württemberg e.V.